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Herr Krit interviewt Blogger und Netzleute

Interview mit Jens Berger

24. Juni 2007

Wirkungsvoll gegen „Meinungsmainstream“

Das Weblog Der Spiegelfechter von Jens Berger habe ich als medienkritisches Korrektiv während der G8-Proteste kennen- und schätzengelernt. Im Interview berichtet er über das, was Wut macht an der gegenwärtigen Politik, über sein Selbstverständnis als Blogger, die Bedeutung von Weblogs und das „flickr-Desaster“.

Herr Krit: Wie hast Du das Bloggen entdeckt und was motiviert Dich, nahezu täglich dem politischen Geschehen auf den Zahn zu fühlen?

Jens: Die Idee, einen Blog zu starten, kam mir spontan – man könnte fast von einer Kurzschlusshandlung sprechen. Ich war schon immer ein äußerst politisch interessierter Mensch und fand es immer schon spannend in Foren mit Gleichgesinnten über politische Themen zu diskutieren. Mit der Zeit wurde es mir immer klarer, dass viele überzeugenden Argumente, Gesichtspunkte und Fakten der politischen Diskussion in den etablierten Print- und Onlinemedien nicht zur Sprache gebracht werden. Obgleich es natürlich in gewisser Weise ein Kampf gegen Windmühlen ist, habe ich ihn angetreten und ich bin ja zum Glück auch nicht alleine – im Netz entsteht so langsam eine Gegenöffentlichkeit, die immer wirkungsvoller gegen den Meinungsmainstream antritt. Dies ist ein spannender Prozess und es ist äußerst interessant selbst ein Teil dieses Prozesses zu sein. Schreiben ist für mich auch ein kognitiver Prozess – man muss seine Gedanken ordnen, fokussieren und Gegenargumente ausleuchten um einen Artikel zu einem Thema zu schreiben. Durch das Schreiben erweitert man so auch sein Wissen.

Herr Krit: Dein Weblog startete im Februar 2007, ist also noch sehr jung. Trotzdem wird Dein Weblog von einer regen und diskussionsfreudigen Community geschätzt. Wie kam es dazu?

Jens: In den ersten beiden Monaten war das noch nicht so. Ich war zwar sehr zufrieden mit den Leserzahlen, die recht schnell eine ansehnliche Zahl erreichten – nur wollte fast keiner mitdiskutieren. Da ich ja aus der „Forenszene“ komme, fand ich das suboptimal, wie der Ex-Kanzler zu sagen pflegt. Zum Glück hat sich dies ja geändert – ich freue mich vor allem über das teilweise doch sehr hohe Niveau der Diskussion. Es liegt sicher hauptsächlich an der Themenwahl, ob ein Artikel rege kommentiert wird oder nicht. Zu spezifische Themen sind da eher abträglich, während zu Themen, wie beispielsweise der Diskussion um die Einschränkung der Bürgerrechte, viele Leser etwas beizusteuern haben. In der Wahl der Artikel lasse ich mich dadurch allerdings kaum beeinflussen, sondern strebe eher ein weites Themenspektrum an – auch wenn dies einige Leser dann weniger interessiert. Hier liegt auch der Vorteil von Blogs – man muss ja schließlich nicht auf Quoten, Auflagen oder Werbeeinnahmen schielen und kann schreiben, wozu man gerade Lust hat – egal ob dies jetzt eine satirische Glosse, ein eher spröder Hintergrundartikel über geostrategische Fragen der kaspischen Ellipse oder die Richtigstellung einer Falschmeldung von Spiegel und Co. ist. Ich verwehre mich auch, ein stringentes Konzept für den Spiegelfechter zu entwickeln, da ich mich nicht selbst einschränken will.

… dies war eine Art „Feuerprobe“ für die Gegenöffentlichkeit des Netzes

Herr Krit: Ich habe Dein Weblog während der G8-Proteste 2007 schätzengelernt. Du hast unter anderem die Medienberichterstattung kritisch unter die Lupe genommen und es wurde sehr viel diskutiert unter Deinen Artikeln. Was war für Dich die wichtigste Erfahrung aus dieser Woche?

Jens: Die wichtigste Erfahrung war, dass man den etablierten Medien noch wesentlich weniger glauben kann, als ich befürchtet hatte. Während des G8-Gipfels haben die großen Zeitungen und Onlineportale durch Fehlinformationen und Schlampigkeit in der Berichterstattung geglänzt – dies war eine Art „Feuerprobe“ für die Gegenöffentlichkeit des Netzes, die bestanden wurde. Relevante Informationen kamen in dieser Zeit fast ausschließlich von den Blogs und alternativen Medien.

Herr Krit: Wo verortest Du Dich politisch? Links von der Partei „Die Linke“? ;-)

Jens: (lacht) Ich habe meine Probleme mit der „klassischen Gesäßgeographie“. Begriffe wie „links“ unterliegen auch einem zeitlichen Trend. Mit meiner politischen Einstellung wäre ich vor 30 Jahren wahrscheinlich dem linksliberalen Flügel der FDP nahe gewesen; die Zeiten haben sich aber massiv geändert, die sogenannte „politische Mitte“ hat sich ziemlich breit gemacht. Ich würde mich als „Verfassungspatriot“ bezeichnen – umso wütender macht mich die real existierende Politik, die die Verfassung Stück für Stück unterminiert.

Herr Krit: Was macht Dir an der gegenwärtigen deutschen Innenpolitik am meisten Sorgen und was stimmt Dich optimistisch?

Jens: Die politische Gesellschaft ist eine andere, als sie es in meiner Jugend war. Es hat sich eine breite politische Strömung entwickelt, die weniger von ideologischen Ansätzen geprägt ist, als von einem opportunistischen Pragmatismus. Dadurch ist die Demokratie in eine schwere Krise geraten, da nicht der Auftrag des Wählers für die Volksvertreter von Interesse ist, sondern dessen Bevormundung unter einem vermeintlichen Sachzwang. Der politische Diskurs findet hauptsächlich abseits des Parlamentes und seiner Quatschbuden auf den Sesseln der TV-Anstalten statt. Dort herrscht ein Meinungsmonopol vor, in dem über Nuancen „gestritten“ wird – Spiegelfechtereien, wie ich so etwas nenne. In der LINKEN sehe ich hier eine löbliche Kraft, die eine Initialzündung auslösen könnte. Je mehr sie den „Marsch durch die Medien“ antreten, desto unbequemer wird es für die anderen Parteien. Ihre Linie wird auf einmal vom Wähler und von der Basis hinterfragt. Sachzwang? TINA (there is no alternative)? TATA (there are thousand alternatives)!

Herr Krit: Stichwort „sächsische Korruptionsaffäre“, von „Amtsmissbrauch“ über „Kinderprostitution“ bis „Mord“ scheint alles dabei zu sein für einen Krimi, der alle bisherigen toppt. Was denkst Du über diesen auch in der Presse eher unterbelichteten Skandal, von dem aktuell berichtet wird, dass „umfangreiches Aktenmaterial aus dem Bestand des Verfassungsschutzes vernichtet worden“ sei.

Jens: Who watches the watchers? Es ist ein grundlegendes Problem solcher – im Stillen operierenden – Staatsorgane, dass sich ihre Kontrolle schwer gestaltet. Wo es keine wirkungsvolle Kontrolle gibt, können sich schnell kriminelle Strukturen bilden, wie das Beispiel Sachsen gezeigt hat. Ein verantwortungsvoller und integrer Staat muss auch eine wirkungsvolle Kontrolle seiner Organe gewährleisten – dies ist in diesem Falle grundlegend in die Hose gegangen.

Insofern hat das Flickr-Desaster ja auch was Gutes. Nichtkommerzielle Alternativen werden folgen…

Herr Krit: Stichwort Web 2.0 und „Zensur“ bei flickr. Hast Du eine Meinung dazu oder interessiert Dich das Thema nicht?

Jens: Web 2.0 und der Kommerz ist ein schwieriges Thema. Natürlich haben Plattformanbieter ein Interesse daran, Geld zu verdienen – die Nutzer solcher Dienste müssen allerdings erkennen, dass sie die Contentlieferanten sind, ohne die die Plattformen kein Geld verdienen können. Ich stehe kommerziellen Plattformen grundsätzlich kritisch gegenüber – warum sind in diesem Bereich kaum gemeinschaftliche Communities zu finden? Die Wikipedia zeigt ja, wie es auch anders gehen kann, obwohl natürlich auch dort nicht alles perfekt ist. Das Beispiel Google zeigt ja hervorragend, wie schädlich monopolistische Strukturen im Web sind, wenn das große Geld dahinter steht. So mancher Darling des Web 2.0 wird sich in Zukunft ebenfalls zum „Bösewicht“ umwandeln, es wäre naiv von kommerziellen Anbietern Altruismus oder Idealismus zu erwarten. Da im Web 2.0 der Nutzer gleichzeitig der Contentlieferant ist, hat er allerdings auch die Macht, solche Strukturen zu verhindern. Warum sollte ich beispielsweise mein Blog bei einem kommerziellen Anbieter hosten? Warum sollte ich meine Fotos dort veröffentlichen? Insofern hat das Flickr-Desaster ja auch was Gutes. Nichtkommerzielle Alternativen werden folgen – dies geht im Netz sehr schnell und wer weiß, vielleicht sind einige Nutzer dadurch aufgewacht und betrachten das Web 2.0 ein wenig kritischer. Das wäre zu wünschen.

Herr Krit: Wie geht es weiter mit dem Web und den Weblogs?

Jens: Wir stehen an der Schwelle einer Aufteilung des Netzes in Kommerz und Authentizität – da machen auch die Blogs keine Ausnahme. Vom Nutzer wird in Zukunft noch mehr Medienkompetenz zu erwarten sein als jetzt. Blogger sind nicht per se bessere Menschen, sie sind ein Querschnitt durch die Gesellschaft. Erst kommt das Fressen, dann die Moral – natürlich wird es auch weiterhin die idealistischen, authentischen Blogger geben – die Gegenöffentlichkeit -, bei denen der Inhalt und dessen Vermittlung im Mittelpunkt steht, aber es wird auch „gefallene Engel“ geben, die ihre Ideale zu Markte tragen. Wenn Geld, Macht und Eitelkeiten locken, wird so mancher Mensch schwach, das ist „urmenschlich“. Mephisto hat viele Gesichter, aber das Web hat auch viele Augen – insofern sehe ich die Zukunft eher gelassen.

Herr Krit: Was tust du und wer bist du, wenn Du nicht am Rechner sitzt, recherchierst und bloggst?

Jens: Ein ganz normaler Mensch, der von neun bis fünf im Büro sitzt und gerne abends bei einem Glas Bier mit seinen Freunden in der Kneipe klönt. Ein Mensch, der seine Fehler und seine guten Seiten hat und das Leben für
viel zu kurz hält, um es Eitelkeiten wie Karriere oder Reichtum zu opfern.

Herr Krit: Vielen Dank für das Interview. Nun hast Du das letzte Wort. Fehlte ein Thema, liegt Dir etwas besonders am Herzen oder hast Du gar eine Antwort auf die Frage aller Fragen? ;-)

Jens: Ein iranischer Leser beendete mal eine Mail an mich mit der ungewöhnlichen Grußformel: „Ich wünsche Ihnen ein sonniges Herz“. Das fand ich so schön, dass ich diesen Wunsch an Dich und Deine Leser
weitergeben will ;-)

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