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AndererSites

Klaus Brandstetter über den Weg zur eigenen Mitte, das Internet im Dorf und die Aufgaben und Herausforderungen eines verantwortungsbewussten Unternehmers.


 

KriT: Dein zentrales Projekt heisst AndererSites - der Server mit Standpunkt. Dieser Titel ist Programm. Wie bringst Du dieses Programm auf den Punkt?

Klaus: Mir liegt viel daran aufzuzeigen, dass es andere Sichtweisen gibt, als diejenigen, mit denen wir tagtäglich zugeschüttet werden. Es sind dies Sichtweisen, die ohne aufwendige Recherche, einfach durch Beobachten, ein wenig Nachdenken und dadurch erlangt werden können, dass man sich der Schnellebigkeit des Nachrichtengeschäftes entzieht und sich gelegentlich erinnert. Dadurch kann man Dinge in Beziehung setzen, die sonst vollkommen beziehungslos nebeneinander stehen. Es ist manchmal unerträglich, wie in den Medien tausendfach nachgebetet wird, was einer vorgesagt hat. Meinung entsteht auf gleiche Weise wie jene populären Irrtümer, die dann beispielsweise in der Stimmt's-Rubrik der Zeit aufgeklärt werden. Mit dem Risiko, dabei selbst auch mal kräftig daneben zu liegen, muss man leben. Irren ist menschlich. Ich habe damit auch insoweit kein Problem, als AndererSites nicht den Anspruch erhebt, Wahrheiten zu verbreiten. Wenn dieser Server eine Botschaft hat, dann die Aufforderung, hinzusehen und Stellung zu beziehen und dafür selbst ein Beispiel zu geben. Ich hasse nichts mehr als konjunktiv-triefende Formulierungen der Art "ich würde gesagt haben wollen". Deshalb habe ich neben Speaker's Corner auch die Rubrik mit den Jahresrückblicken aufgenommen. Das ergänzt sich und wird mit dem Upload des 98er-Rückblicks noch enger verknüpft, indem an entsprechender Stelle Links zu meinen Kommentaren zu finden sein werden. In der Retrospektive kann sich jeder ein Bild machen, inwieweit Speaker's corner getroffen oder geirrt hat.

KriT: Was Deine Arbeit so originell macht, sind Deine wachen Augen auf die politischen und gesellschaftlichen Dinge um uns herum, wie die Speaker's corner Dabei hälst Du Dich in den Texten mit Deiner Meinung nicht zurück. Woher kommt diese unzeitgemässe Zivilcourage und der Mut zu ungeliebten Standpunkten?

Klaus: Diese Frage gebe ich weiter an meinen Psycho-Doc. ;-)

Woher? - ich denke mal aus meiner Vita. Ich habe Eltern, die zeitlebens unzeitgemässe Dinge getan haben. Nicht, dass sie sich dadurch ihr Leben leichter gemacht hätten. Die Falten, die ihre Gesichter heute zieren, haben ihre Geschichte, die vom Widerstand gegen Konventionen genauso erzählt, wie von der Freude, so gelebt zu haben. Politik war bei uns stets ein Thema, Sichkümmern ebenfalls. Das wichtigste Stichwort in diesem Zusammenhang heisst Orientierung. Wenn man es schafft, seinen Kindern Orientierung mitzugeben, hat man das Beste erreicht. Das heisst ja nicht, dass nachfolgende Generationen die elterliche Meinung übernehmen müssten. Sich zu orientieren bedeutet, sich eine Richtung auszuspähen, sich einen roten Faden zu suchen.

Lass' mich das an einem Beispiel konkretisieren. Ich hatte mein ganzes Jugendleben lang Gelegenheit zur Mitarbeit in der Kirche. Ich hab' sie auch genutzt. Und dann kam, lange sich ankündigend, der Tag, an dem ich mir schriftlich in meinem Tagebuch eingestanden habe, dass es für mich keinen Gott im Sinne irgendeiner unserer Weltreligionen gibt. Mir war beim Niederschreiben einen Moment lang etwas flau im Magen. Die Folgen einer solchen Feststellung sind enorm. Man steht plötzlich ausserhalb jeglicher Wertegefüge, die allesamt durch religiöse Vorstellungen geprägt sind. Ich habe jedoch gefunden, dass es sich mit dem christlich-humanistischen Gedankengut auch ohne religiöse Bindung ganz gut leben lässt. Ohne die Fähigkeit zur Orientierung allerdings hätte ich den "weissen Fleck" zwanghaft mit irgendwas anderem füllen müssen. Eine Orientierung besitzen, kann damit auch bedeuten, ganz bewusst zu sagen: Ich weiss es nicht.

Vor diesem Hintergrund habe ich persönlich meine Mitte gefunden. Sie befähigt mich, mich als Individuum zu äussern, von den unveräusserlichen Rechten Gebrauch zu machen, gänzlich ohne das Gefühl, hier sei Zivilcourage oder Mut vonnöten. Anders gesagt - ich mach' das einfach. Es gibt da dieses schöne alte Wort: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund davon über.


KriT: Stichwort Heubach - ein Dorf geht online. Hört sich spannend an. Was passiert denn da und welche Rolle ist die Deine?

Klaus: Meine Rolle ist die eines Kompass'. Siehe oben. Ich habe den Heubacher Server zunächst auf Anregung von anderer Seite auf die Beine gestellt, nachdem die Kernstadt - Heubach ist ein Ortsteil der südhessischen Stadt Gross-Umstadt - online ging. Es ist ja so schwer, "Nein" zu sagen. :) Aus dem anfänglichen Gedanken, das Projekt durch die Mitarbeit des ortsansässigen Gewerbes zu finanzieren, ist bald eher ein Kultur- oder wenn man so will ein Dorfentwicklungsprojekt geworden. Wichtig dabei ist allerdings, dass er inhaltlich nicht allein mein Werk ist. Ich habe lokales Know how genutzt, einmal um die interessanten Dinge überhaupt zu sammeln, zum anderen, um als "Neubürger" nicht sämtliche Fettnäpfe mitzunehmen, die in einem Dorf, in einem Sackdorf zumal, so herumstehen. Schliesslich war es mir wichtig, das Thema im Dorf selbst zu verankern. Dadurch kam ich mit dem hiesigen Verkehrsverein in Kontakt, der mir die Möglichkeit bot, das Projekt dorfweit in einer Abendveranstaltung bekannt zu machen.

Das ganze Projekt hat eingeschlagen wie eine Bombe, nicht nur in Heubach. Heubach hat plötzlich wieder Kontakt zu seiner amerikanischen "Diaspora". Ich werbe daher im Moment für die Idee, dass mir jemand aus Übersee die englische Version des Servers strickt, zu der ich aus Zeitgründen nicht selbst komme. Ich habe die Idee, dass zu unserem 700jährigen in vier Jahren eine amerikanische Delegation anrückt.  Meinen Wunsch, eine Jugendredaktion auf die Beine zu stellen, hat in seinem Kern noch keiner der Vereine recht begriffen. Im Ort bin ich inzwischen Ansprechpartner für alle Bürger, die irgendeine Frage zu den neuen Medien haben oder zu Dingen, von denen sie meinen, dass sie dazu gehören. Es hat sich nun jemand gefunden, der auch dann und wann mal redaktionell mitarbeitet.

Dennoch muss man sagen, der Server ist ein Zukunftsprojekt. Viele Dörfer stehen heute mit dem Rücken zur Wand. Um davon wegzukommen, brauchen sie einmal neue Ideen und zum anderen ein neues Selbstbewusstsein. Die Sprachlosigkeit auf die banale Frage, was denn ein Dorf sei, spricht hier Bände. Ich schaue mich öfter auch mal im Ausland um. Und da ist mir diese spanische Kleinstadt Oliva aufgefallen, von der ich kürzlich auf AndererSites berichtet habe. Die sponsert ihren angestammten, aber auch den in der Ferienhaussiedlung Oliva nova eingekauften ausländischen Bürgern einen PC mit Online-Zugang für knappe 1200 Mark. Wenn sowas Schule macht, hat das Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und damit auf das gesamte Sozialgefüge. Und das wird Schule machen, davon bin ich überzeugt. Deshalb sind in der Stadt- und Dorfentwicklung neue Gedanken gefragt. Die Voraussetzung dafür ist erstmal die Beschäftigung mit den Grundlagen, dem Internet an sich, der eigenen Identität als Gemeinwesen. Die Lokale Agenda 21 bietet dazu an sich Gelegenheit. Leider wird sie noch nicht wahrgenommen. Deshalb auch das etwas bissige Vorwort im Agenda-Forum des Heubacher Servers.

Und das ist auch meine Rolle hier im Dorf: Ich bin der Falsche, wenn es um die Sanierung irgendeiner Strasse geht. Aber ich bin mit Sicherheit kompetent, wenn es um die Entwicklung von Visionen geht. Natürlich führt sowas in der Praxis nicht selten zu Reibereien. Das gehört dazu. Von wenigen Ausnahmen abgesehen habe ich gelernt, geduldig zu sein. Ich kann allerdings nicht behaupten, dass mir das leicht fiele.

KriT: Du bist Inhaber einer Firma, die unter anderem Internet-Dienstleistungen anbietet. Wie fasst Du Deine Erfahrungen mit dem Online-Geschäft zusammen, auch im Hinblick auf Deinen doch abwechslungsreichen beruflichen Werdegang?

Klaus: Vorausschicken muss ich, dass die Selbständigkeit für mich die einzig lukrative Form des Broterwerbs darstellt. - Es ist ganz einfach spannend. Wir arbeiten in einer Branche, in der zur Zeit Zukunft gemacht wird. Es geht ja bei uns längst nicht nur darum, Leute oder Firmen ins Web zu bringen. Ein wichtiges Standbein unserer Tätigkeit befasst sich damit, was auf der Basis des Online-Zugangs noch alles möglich ist. Cross media-Ansätze sind von Interesse, neue Formen der Kommunikation mit Kunden und Lieferanten. Das einzige echte Problem ist das der Weiterbildung - läuft der Laden, hast Du kaum Zeit dazu, hast Du keine Zeit dazu, läuft der Laden bald nicht mehr, läuft er nicht mehr, hast Du kein Geld mehr zur Weiterbildung. Andererseits hatte ich als angestellter Projektleiter auch keine Zeit für Fortbildung. So musst Du letztlich sehen, mit deinem derzeit noch aktuellen Know how möglichst schnell was auf die Beine zu stellen. Dann kannst Du das jeweils allerneueste Wissen "einkaufen". Wichtig ist, dass Du selbst bezüglich der Grundlagen den Überblick behälst und dich mit dem Gedanken vertraut machst, irgendwann nicht mehr selbst der eigentliche Macher zu sein.

Rückblickend kann ich sagen, dass letztlich alles aufeinander aufbaute. Die pädagogischen und didaktischen Fähigkeiten aus meiner Zeit an der Musikschule oder der Phase als freiberuflicher Dozent und Autor kommen mir heute bei der Akquise, aber natürlich auch bei der (Projekt-)Arbeit selbst zugute. Wäre ich geblieben, was ich war, ich könnte Dir hier und jetzt erzählen, was heute in zehn Jahren geschehen würde. Das war mir einfach zu wenig.


"Der in den meisten Fällen eindeutig höhere Verdienst muss sich auch in mehr Verantwortungsbereitschaft ausdrücken."


Vom Inhaltlichen abgesehen gibt es für mich allerdings keine branchen-spezifischen Erfahrungen. Geschäft ist Geschäft, man hat Stärken und Schwächen, gewinnt Vertrauen oder eben nicht. Du hast zwar nicht danach gefragt, dennoch möchte ich das hier loswerden: Was ich mir wünsche, ist mehr Verantwortungsbewusstsein seitens der Unternehmer. Ich finde das Geschrei fürchterlich, das anhebt, wenn es um änderungen geht, wenn es auch mal an den Geldbeutel geht. Sicherlich sollte die Politik deutlicher unterscheiden zwischen grossen, mittleren und kleinen Betrieben. Alles in allem geht es "dem Unternehmer" in Deutschland aber nicht schlecht. Ich habe mich jetzt zwei Wochen dem Stress unterzogen, einen Praktikanten zu betreuen. Das hat mich manche Nacht gekostet. Aber mein Gott, wer soll denn jungen Menschen die notwendige Orientierung geben, wenn nicht wir? Der in den meisten Faellen ziemlich eindeutig höhere Verdienst muss sich irgendwie auch in mehr Verantwortungsbereitschaft ausdrücken. - Die Ergenisse des Praktikums sind übrigens hier zu bewundern.

Ich persönlich setze das Gewicht, das man als Selbständiger in seiner Gemeinde zwangsläufig bekommt, auch dafür ein, im direkten Kontakt mit Vertretern der Stadt Sensibilität für zukünftige Entwicklungen zu wecken. "Bürgernetz" ist so ein Thema. Meine Frau war lange im Sozialdienst tätig, da lernt man, woran es in unseren Gemeinden fehlt - beispielsweise an einer Bestellmöglichkeit von Medikamenten oder Verbandsmaterial oder Lebensmitteln direkt vom Patienten aus. Ich ziehe auch nach wie vor mit Vorträgen durch die Lande - demnächst etwa zu dem Thema "Internet - Kindernet". Natürlich bringt mir das mittelfristig vermutlich auch Kunden, es dient aber auch der Aufklärung und dem Gemeinwesen an sich. Warum sollte man das Angenehme nicht mit dem Nützlichen verbinden?

KriT: Du willst, dass man Dich innerhalb von 5 Minuten kennenlernen soll. Was erzählst Du?

Klaus: Dass man einen Menschen entweder in der ersten Sekunde kennt - oder erst durch ein langes Zusammenleben...

Aber gut! Wenn Du bei einem Spaziergang durch den Heubacher Wald (Teil des Odenwaldes) auf einer Lichtung statt des erwarteten Hexenhäuschens einen mit Notebook und Handy sitzen siehst, dann hast Du höchstwahrscheinlich mich getroffen. Meine Wurzeln liegen buchstäblich im Wald. Ich bin, obwohl in der Stadt gross geworden, ein sehr rustikaler Mensch. Das zieht sich durch, man sieht das in Grenzen an unserem Haus und an der Wahl des Automodells. Hirschgeweihe und Gartenzwerge indessen wird man bei uns vergeblich suchen, da ich überhaupt nichts von dieser Art Romantik halte. Man findet bei uns zwei "Unzertrennliche", weil ich Vögel über alles liebe. Und man findet bei uns eine Katze, weil sie sich uns ausgesucht hat und wir gerne Zuflucht geben.


"Ja, auch das Leben eines Siebenjährigen kann sich verändern!"


Du findest in mir einen guten Zuhörer - wie mir andere bestätigen - und einen ungeduldigen Macher, wenn eine Idee bei mir verfangen hat. Du findest einen Augenmenschen, der kaum etwas mehr hasst, als verschiedene Designs auf einem gedeckten Tisch. Wenn ich dereinst durch Ertrinken aus dieser Welt gehen müsste, dann soll es bitteschön in Samos sein, jenem süssen, griechischen Likörwein. Reiselust könnte zum Laster ausarten, insbesondere auf der Nordhalbkugel... Was man nach aussen hin kaum mitkriegt: Ich arbeite viel, bin zwar stolz auf die Ergebnisse und Erfolge, in erster Linie aber bin ich dankbar für die Chancen und meine Fähigkeit, sie zu nutzen. Dankbar auch für alles, was sich daraus ergibt. Man sollte dazu wissen, dass ich als Siebenjähriger nach einem schweren Unfall dem Sensenmann gerade nochmal von der Schippe gesprungen bin. Das hat mein Leben drastisch verändert. Ja, auch das Leben eines Siebenjährigen kann sich verändern!

Ich vermische in diesen fünf Minuten gelegentlich das Ich und das Wir, weil ich mich zu nicht geringen Teilen auch über meine Ehe und Familie definiere. Ich bin ein grosser Anhänger Erich Fromms. Seine Gedanken haben mir viel gegeben, vor allem den klaren Unterschied zwischen Werte- und Strukturkonservatismus. Ich bekenne mich als Wertekonservativer. Dementsprechend lebe ich seit 22 Jahren mit der gleichen Frau zusammen. Nicht ohne Krisen, insgesamt aber erfüllt und glücklich. Und es gibt immer noch vieles, was wir zu besprechen haben. Und dann ist da noch Fabian - unbeschreiblich! Das Vertrauen eines Kindes ist ein grosses Geschenk. Und wenn mir die Fee drei Wünsche freistellt, so lautet mein erster, sie möge uns die Fähigkeit geben, ihn um das Riff des Drogenkonsums zu leiten, der zweite, sie möge ihm den klaren Verstand geben, der allein vor AIDS schützt. Für den dritten wird unsere Zivilisation auch noch was finden, den heb' ich mir noch auf.

KriT: Du kennst das Spiel bereits, die Frage, was Du über KriT und den KriT-Apfel denkst. Ich stelle sie übrigens nicht deshalb, um ein immer gleiches Lob zu hören, sondern überrascht zu werden, von den so unterschiedlichen Antworten.

Klaus: Die Idee, eine Auszeichnung mit einem Interview zu verbinden, hat nur Vorzüge. Zum einen gewinnt der Apfel - der übrigens auch mich stets an die Abbey Road erinnert und damit von vorneweg aufs Positivste besetzt ist - an Verbindlichkeit. Zum anderen - das ist mir jetzt schon fast peinlich - denke auch ich, dass Du hier etwas geschaffen hast, das dereinst einen historischen Stellenwert haben kann. Du musst es nur lange genug durchhalten. Wer die Apfelseite durchgeht bekommt eine sichere Vorstellung davon, was Internet auch ist - Denkraum. Und zwar ohne Wenn und Aber. Man bekommt bei der Lektüre Lust, weiter zu denken. Mindestens mir ergeht es so. Hinter der so schlicht daherkommenden Seite lauert eine ungeheure Wucht an Kompetenz.

KriT: Vielen Dank für das spannende Interview. Deine Aufrichtigkeit und die kompakten Anworten habe mich berührt und unterhalten. :-)


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