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Kontaktfreudiges Netz

Christine Kühnel über die Mailingliste Webkultur, Entstehung und Wandel von Newsgroups und über die Frau am Computer.

KriT: Ich habe Dich durch engagierte Beiträge in der Mailingliste Webkultur zum ersten Mal wahr- genommen. Was hat Dich bewegt, dort mitzumachen und wie interpretierst Du das Ende dieser Liste.

Christine Du stellst zwei kurze Fragen und spannst damit gleich einen weiten Bogen. Die erste kann ich recht schnell beantworten. Was hat mich bewegt, da mitzumachen? Auf die Liste gestoßen bin ich durch den netz-alltäglichen Zufall. Irgendwann und irgendwie bin ich auf den Seiten der Mailingliste gelandet. Na ja, und das, was dort stand, so von wegen "Austausch und Begegnung von engagierten Surfern ... Entwicklung und Gestaltung von Webprojekten ... Kommunikation zwischen "vernetzten" Individuen ...", klang interessant. Also habe ich mich eingetragen, wollte eigentlich erst mal nur so ein bißchen mitlesen, sehen, um was es da nun konkret geht. Die passive Rolle habe ich allerdings nicht sehr lange durchgehalten. Das, was ich da las, reizte mich, mitzureden.

Die Frage nach meiner Interpretation des Endes läßt sich nicht ganz so einfach beantworten. Ich kann nicht über das Ende reden, ohne über die aktive Zeit der Liste nachzudenken. Da war in dem reichlichen Jahr, in dem ich dabei war, doch richtig was los. Was brachte das Netz-Leben nicht alles für Themen in die Liste? Wie haben wir uns zum Teil auch darüber gestritten? Auch was Noch-nie- Dagewesenes haben wir probiert und aus dieser Gemeinschaft heraus eine Suchmaschine für Kultur-Seiten in Gang gesetzt. Das war schon eine tolle Zeit, richtig spannend, den PC abends anzuwerfen und nach den neuen Mails zu gucken. Für mich gehörte die Liste zu der Zeit einfach dazu. Trotzdem hatte sie keinen Bestand, und ich war wirklich traurig, als es zu Ende war.
 

Christine Kühnel

  Warum funktionierte das alles später nicht mehr so? Woran lag das eigentlich? Ich denke, die Liste war zum einen über die Zeit zu groß geworden. Wieviel Leute waren da eigentlich zum Schluß drin? 150 oder so, kann das sein? Die waren zwar nicht alle aktiv, Lurker gab es auch, aber trotzdem prallten zu viele unterschiedliche Interessen aufeinander. Und damit bin ich beim zweiten und für mich entscheidenden Punkt. Das ursprüngliche Anliegen war verlorengegangen, das, was die Liste sein wollte, wofür sie da sein wollte, was Du und Claudia wohl mal mit "Webkultur" meintet. Das Phänomen tauchte auch nicht plötzlich auf, verstärkte sich nur immer mehr. Vielleicht kann eine Liste gar nicht auf Dauer laufen unter einer Überschrift, die so viel individuellen Freiraum in der Auslegung zuläßt. Ich weiß es nicht sicher, sehe nur, daß Listen, auch mit vielen Teilnehmern, dann kaum Problme machen, wenn ihre Thematik einigermaßen zweifelsfrei definiert und abgegrenzt ist, wenn damit auch klar ist, was als "offtopic" nicht dazugehört.




Das Netz ist irgendwie
viel kontaktfreudiger
als die Welt da draußen.





Die Liste existiert nicht mehr, das ist schade, aber nicht furchtbar für mich. Es war manchmal auf-, aber hauptsächlich anregend, da dabei zu sein. Mir heute wichtige Kontakte, die ich am Rande geknüpft habe, bestehen trotzdem weiter. Ich denke also weder mit Wehmut noch in nostalgischer Verklärung an die "Schöne Zeit".
 

  KriT: In den meisten Fachmagazinen wird explizit oder zwischen den Zeilen immer wieder vermittelt: das Ziel jeder Homepage sind nicht die Kontakte, sondern möglichst viele Besucher. Was hältst Du im Hinblick auf Dein Homepaging davon?

Christine: Fachzeitschriften meinen wohl in erster Linie kommerzielle Seiten. Für die sind Besucherzahlen schon wichtig, wenn man jeden Besucher als potentiellen Kunden sieht.

Für mich sagen solche Zahlen nicht viel. Natürlich möchte ich, daß andere meine Seiten besuchen. Wer arbeitet schon gern im stillen Kämmerlein nur zur eigenen Freude? Aber die Leute sollen nicht kommen, weil ich sie zählen möchte. Das macht doch überhaupt keinen Sinn. Weiß ich denn, wie viele davon zufällig gekommen sind und ebenso schnell wieder weg waren? Das wissen übrigens die kommerziellen Anbieter auch nicht, so daß an sich auch dort die Größe "Besucherzahl" allein längst nicht als Maßstab ausreicht.
 


  Den größten Teil meiner eigenen Seiten nehmen im Moment die "JavaScript-Notizen" ein, also schon mal ein Thema, das ganz sicher nicht jeden interessiert. Hauptsächlich kommen Leute, die Informationen suchen. Das ist absolut in Ordnung und so gewollt, auch wenn deren Anzahl mich nicht auf die vorderen Ränge irgendwelcher Statistiken bringt.

Du sprichst von Kontakten als Ziel so einer Homepage. Diese Kontakte sind etwas sehr Schönes und allemal wichtiger als anonyme Hits. Aber extra und ganz bewußt anstreben? Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die dabei ganz von selbst entstehen, sozusagen fast nebenher. Ist das bei anderen anders? Sicher nicht! Ich denke, es ist egal, womit sich so eine Seite befaßt; wenn sie für andere interessant ist, dann reicht das vollkommen aus. Das Netz ist irgendwie viel kontaktfreudiger als die Welt da draußen.
 

  KriT: Womit befassen sich Deine Seiten und was kam bisher an Feedback?

Christine: Den größten Raum nehmen die "JavaScript-Notizen" ein; ich habe es schon erwähnt. Deswegen bleibe ich mal bei denen. Das sind Seiten über JavaScript. Dazu gehören einige von mir programmierte Beispiele, ein paar Tips und Tricks und natürlich eine Zusammenstellung der Quellen im Web, die ich auf dem Gebiet fuer interessant und hilfreich halte. Ganz klar, daß die Reaktionen darauf in den allermeisten Fällen zuerst mal mit dem Thema direkt zu tun haben. Das reicht von der ganz einfach mal schnell geschriebenen netten Dankeschön-Mail über Fragen aller Art und Komplexität bis hin zu Ansichten und Meinungen über Art und Inhalt des Angebots und über JavaScript überhaupt.

Nicht jede Mail hat dabei ihren unmittelbaren Ursprung in meinen eigenen Seiten. Ich betreue nebenher zusammen mit Stefan Mintert die FAQ von news:de.comp.lang.javascript, und in der NewsGroup selber bin ich sozusagen "zu Hause"; eine 100%ige Trennung und separate Betrachtung kann ich da gar nicht vornehmen.

KriT: Newsgroups sind gerade für Newbies ein Buch mit sieben Siegeln. Dabei wird verkannt, das hier ein ungeheures kommunikatives Potential liegt. Wie hast Du Deine Newsgroups entdeckt, wie sind Deine bisherigen Erfahrungen mit Diskussionsforen und was sollte man tun, um aktiv das Newsgroupgeschehen mitzugestalten?

Christine: Wieviel Fragen sind denn das? Wo fange ich an? Wo höre ich auf? Für mich sind die Newsgroups eine spannende Geschichte. Jeder, der das Internet mit WWW gleichsetzt, der verpaßt an sich etwas. Ich habe mal irgendwo einen Vergleich gelesen, der mir gefallen hat. Wie war das noch? Im W3 ist es so, als würde man immer an Plätze kommen, an denen andere waren, aber an denen nie andere sind. In den den Newsgroups ist das ganz anders. Da sind die anderen da, man kann mit ihnen reden, mit ihnen diskutieren, mit ihnen streiten.

Was soll man Newbies sagen? Leute, schaut es Euch einfach an. Die Themenvielfalt ist so groß, daß Ihr bestimmt was findet. Lest eine Weile mit, um zu sehen, ob Ihr richtig seid. Das ist übrigens sehr wichtig. Dort herrschen nämlich Regeln, an die man sich halten sollte; die haben ihren Sinn. Ich kann jetzt hier nicht zu einem Vortrag darüber ausholen, will auch niemanden erschrecken, ganz im Gegenteil.

Aber ich beobachte nicht ganz ohne Sorge, daß es wirklich ein Problem sein kann, wenn zu viele diese Spielregeln mißachten, sie vielleicht gar nicht kennen. Und genau das passiert jetzt immer öfter. Ich lese mehrere Gruppen, rede allerdings nicht in allen so intensiv mit wie in de.comp.lang.javascript, in einigen gar nicht. Newbies genießen nicht gerade einen guten Ruf, weil da immer öfter Leute auftauchen, Fragen stellen, die gerade erst diskutiert wurden oder einfach nicht dorthin gehören. Und die "besten" unter ihnen schreiben noch drunter "Antworten bitte per eMail", so daß sofort klar ist, hier will jemand schnell mal eine fachkundige Antwort, spart sich aber die Mühe, vorher nachzusehen, ob es die vielleicht schon gibt, und ist im Extremfall nicht mal bereit, seinen Newsreader anzuwerfen, um zu schauen, ob Reaktionen kommen. Besonders beliebt macht der sich damit nicht.




Jeder,
der Internet mit WWW gleichsetzt,
verpaßt etwas.





Das funktioniert so nämlich nicht. Newsgroups sind keine kostenlosen Auskunfteien, sondern leben vom gegenseitigen Geben und Nehmen. Und genau das macht sie interessant und spannend. Lesen kann selbstverständlich jeder alles. Aber mitreden sollte nur, wer bereit ist, das auch im Sinne von "miteinander reden", nicht von "dazwischenrufen" zu tun. Wenn man so rangeht, dann ist alles andere kein Problem. Ich denke, niemand hat wirklich etwas gegen Newbies. Jeder war das selber mal irgendwann.

Ich sehe aber noch eine Gefahr. Die zunehmende Kommerzialisierung des Netzes ist auch hier zu merken. Man entdeckt die Möglichkeit der schnellen und preiswerten Informationsbeschaffung. Je mehr sich das verstärkt, umso mehr wird die Kommunkation auf der Strecke bleiben, und Geben-Nehmen wird zur Einbahnstraße, zumindest zeitweilig. Auf Dauer kann so ein Ungleichgewicht sicher nicht funktionieren; es führt entweder zum Kippen, oder es pendelt sich wieder ein. Aber das gehört eigentlich schon gar nicht mehr zu dem, wonach Du gefragt hast.

Welche Deiner Fragen habe ich jetzt noch nicht beantwortet? Die, wie ich zu "meiner" Newsgroup gekommen bin. Das kann ich mit einem Satz tun. Ich habe schon über deren Einrichtung mit abgestimmt.

KriT: Das ist spannend. Wie gründet man denn eine Newsgroup und was heisst Abstimmung?

Christine: Also, damit hier nichts falsch verstanden wird: Nicht ich hatte die Idee zur Einrichtung von news:de.comp.lang.javascript. Das war Stefan Mintert. Ich habe lediglich meine Stimme abgegeben, genau wie andere auch. Ich selber bin noch nicht auf den Gedanken gekommen, eine neue Gruppe ins Leben zu rufen. Aber ein bißchen was über das Einrichten von Newsgroups in der "de-Hierarchie" kann ich Dir dennoch erzählen. Dafür gibt es einen ganz bestimmten Ablauf. Nachzulesen ist der u.a. bei Thomas Roessler oder in news:de.admin.news.announce.

In ganz groben Zügen läuft das so: Am Amfang steht wie überall die Idee, d.h., man ist der Ansicht, an einem bestimmten Thema haben auch andere Interesse und es wird nicht bereits durch eine der bestehenden Gruppen abgedeckt. Dann schreibt man einen RfD, das heißt "Request for Discussion" an den Moderator von news:de.admin.news.announce. Die, es sind nämlich mehrere, helfen meines Wissens auch schon mal dabei. Veröffentlicht wird dieser RfD dann in news:de.admin.news.announce, news:de.admin.news.groups und den Gruppen, in denen Interessenten zu erwarten sind. Danach wird in de.admin.news.groups diskutiert, eventuell. verfeinert oder geändert.

Ist das abgeschlossen, kann es ans Abstimmen gehen. Es erfolgt ein "Call for Votes", kurz CfV. Der enthält neben den erforderlichen Informationen einen Wahlschein, der "Ja", "Nein" und "Enthaltung" vorsieht. Mit dem wird abgestimmt. Das funktioniert fast ganz genau wie bei anderen Stimmabgaben auch, nur daß es hier per eMail passiert. Innerhalb einer festgesetzten Frist kann man die Wahlscheine einschicken. Nach Ablauf der Frist wird gezählt, der Vorschlag ist entweder angenommen oder abgelehnt, die Gruppe wird eingerichtet oder nicht.

KriT: Du gehörst zu den seltenen Frauen, die programmieren können. Wie war Dein Weg dahin?

Christine: Wenn Du jetzt hoffst, eine spannende Gechichte zu hören, dann wirst Du höchstwahrscheinlich sehr enttäuscht werden. Mein Weg unterscheidet sich überhaupt nicht von dem vieler anderer etwa gleichen Alters mit ähnlichen Interessen und vergleichbarer Herkunft. Die Tatsache, daß ich eine Frau bin, spielt dabei ganz sicher keine Hauptrolle.

Wenn man weiß, daß ich zu denen gehöre, die es aus der ehemaligen DDR irgendwie in den Westen verschlagen hat, dann bleibt von der Exotik "Frau am Computer" längst nicht mehr so viel übrig. Ich fange jetzt lieber nicht an, darüber zu reden, worin sich die ganz alltägliche praktische Umsetzung der per Gesetz verordneten "Gleichstellung" oder "Gleichberechtigung" unterschied. Das ist nämlich ein eigenes Thema, bei dem man über Hintergründe, Absichten und Ziele, Traditionen, Umfelder und sicher noch über vieles mehr nachdenken müßte.




Von der Exotik
Frau am Computer
bleibt nicht viel übrig





Ich erwähne diese Unterschiede nur, weil ein paar davon dafür zuständig sind, daß ich nie in dem Bewußtsein gelebt habe, irgend etwas wäre an meinem Beruf oder dem Weg dorthin besonders. Irgendwann vor sehr vielen Jahren habe ich mal Mathematik studiert. Wirklich auf dem Gebiet gearbeitet habe ich dann allerdings nie, und heute kann es glatt passieren, daß mich schon Aufgaben der höheren Schulklassen ganz schön ins Grübeln bringen. Ich bin sofort in der EDV gelandet. Die steckte damals so richtig in den Kinderschuhen, und Mathematiker fand man auf dem Gebiet viele. Ich weiß nicht mehr so genau, woran das lag, vielleicht an so einer Gedankenkette: Daten verarbeiten -> aha: Rechnen -> aha: Mathematik. Das sind zwar drei sehr verschiedene Dinge, die man auch nur sehr bedingt in Zusammenhang bringen kann, aber ausschließen, daß Kader-(Übersetzung: Personal-)Chefs so dachten, möchte ich nicht. Physiker sind mir übrigens auch einige begegnet.

In dem Metier bin ich geblieben, wenn man von einem kurzen Abstecher in einen ganz anderen Bereich mal absieht. Ich habe alle möglichen Dinge getan, die da so vorkamen, dabei Rechner programmiert, deren Namen ich heute vergessen habe, in Sprachen, die kaum noch einer kennt. So war das. Wie gesagt, völlig unspektakulär.

KriT: Du hast seit kurzem eine eigene Domain namens screenExa.net. Auf was arbeitest Du hin und was bedeutet der Name?

Christine: Ja, die Domain habe ich seit ungefähr vier Wochen. Viel ist da auch noch nicht passiert; ein paar meiner alten Seiten sind dorthin umgezogen. Bisher hatte ich nur dieses übliche eine MB, das man halt bei den meisten Providern für private Seite bekommt, und ein CGI-Verzeichnis habe ich gastweise anderswo mitnutzen dürfen. Das hat mir ganz einfach nicht mehr gereicht.

Natürlich habe ich noch Ideen, was ich so alles machen möchte. Über die will ich jetzt aber lieber nicht reden. Ich habe nämlich selbst noch keine Ahnung, was ich wann und was ich überhaupt realisieren werde. Die Tage sind einfach zu kurz!

Du fragst nach der Bedeutung von "screenExa". Der Name ist meiner Phantasie entsprungen. Möglicherweise haben ein paar Assoziationen dabei eine Rolle gespielt, aber andere haben vielleicht andere, also laß es doch einfach so stehen.

KriT: Es ist soweit! Mit Freuden schicke ich Dir in diesen Tagen den KriT-Apfel zu. Freust Du Dich?

Christine: Direkt gefragt, direkt geantwortet: Ja! In dem Fall freue ich mich wirklich und bedanke mich ganz herzlich. Ich stehe den vielen Awards, die im Netz umherschwirren und immer zahlreicher werden, an sich recht kritisch gegenüber. Oder soll ich gleich sagen: Von den meisten halte ich nicht gerade viel? Wenn der Verleiher auf die Art ausschließlich und ganz offensichtlich kostenlose Banner unterbringt, dann sage ich auch mal "Danke, nein!". Hab' ich schon gemacht.

Aber so ein paar gibt es, die haben noch etwas mit Würdigung oder gar Ehrung zu tun. Der KriT-Apfel gehört für mich dazu. Dankeschön!

KriT: Gern geschehen!

screenExa.net
 


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