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W Wie Weiblich

Anya Czachary über Frauen und Web, das Befremden gegenüber dem Internet, satirische Seitenhiebe garantiert.


KriT: W Wie Weiblich heißt Dein Projekt, das sich selbstbewusst, unkonventionell und informativ für die Belange der Frauen einsetzt. Ein umfangreiche Website! Wie ist das Projekt entstanden, gewachsen?

Anya: This news is an open secret ;-) - ich hatte einen Skiunfall und war für mehrere Wochen an meine Wohnung, bzw. an meinen heimischen Computer gebunden. Mir war entsetzlich langweilig und nur mein PC sorgte dafür, daß mir die Decke nicht auf den Kopf fiel. Ich denke, dieser Unfall setzte die Voraussetzungen für das Projekt "W Wie Weiblich", - da mir personale Dispositionen, wie Disziplin und Sitzfleisch, schlichtweg zu fehlen scheinen. ;-) Themen, Ideen und vor allem auch der Drang diese an die Öffentlichkeit zu bringen, waren jedoch durch mein Studium und meine Praktika zuhauf gegeben.

Wer mich aus der Zeit vor "W Wie Weiblich" kennt, weiß, daß ich Homepages sehr kritisch, ja schon fast despektierlich gegenüberstand. Ich hatte mich immer gewehrt gegen ein Netz, das vollgestopft ist mit Haushaltsplanhilfen, Rezeptsammlungen, Spielmöglichkeiten und Horoskop-Nonsense. Und ich hatte mich dagegen gewehrt, daß genau dieses Überborden solcher Spaß-, Spiel- und jeder Menge Schundprogramme als Informationsrevolution figurieren soll. Ich habe damals das World Wide Web als nichts anderes gesehen, als eine weitere neue Ware unserer Konsumwelt, die Anwendungsmöglichkeiten auf Unsinniges und Unbedeutendes verschwendet, auf Dinge, die ohne politische Relevanz sind.

 

 

Mit der Überzeugung, daß das Internet eine computerisierte Demokratie, ein stets expandierendes Forum von Meinungen und Debatten sein könnte, daß das Medium nicht zwangsläufig zu einem elektronischen Graffiti absinken muß und Netzwerke wertvolle Dienste leisten können, stürzte ich mich zuerst in den Höhen des Studentenstreiks an die "Streik-Seiten" der Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg, dann an das Projekt "W Wie Weiblich".

Frag jetzt bitte nicht, wie ich meine anfänglichen äußerst apodiktischen Ansichten und Anforderungen verglichen mit dem Ergebnis heute beurteile. - Ich würde sagen, meine Meinung hat sich relativiert ;-)

Gewachsen ist das Projekt wesentlich durch Themen, auf die ich während meines Jahrespraktikums gestoßen bin, darüber hinaus erhielt ich immer wieder wertvolle technische Anregungen von  Christoph Berndt.

 

 

Ich werde nie vergessen, wie ich - bewaffnet mit mehreren Disketten und meiner ersten Version von »W Wie Weiblich« im Gepäck - in Hamburg eintraf und er nur die Hände über den Kopf zusammenschlug. Seine erste Reaktion war: »Mein Gott, Anya, das ist HTML der 80er Jahre!!!« Mein ganzer Stolz und meine wochenlange Arbeit wurde mit nur einem Satz, in nur zwei Sekunden vollkommen zunichte gemacht! Völlig enttäuscht wurde mir daraufhin in den folgenden Tagen »Christoph Berndtīs HTML der 90er Jahre« beigebracht ;-) Zu Hause angekommen und um einige Kenntnisse reicher, wurden die Seiten sodann immer umfangreicher. Gegenwärtig haben sie jedoch ihren Höhepunkt erreicht, es wird in der nächsten Zeit nicht mehr sehr viel hinzukommen und sich nur noch sporadisch etwas verändern.


KriT: Frauen im Web, Weiblichkeit im Web. Was fällt Dir dazu ein?

Anya: W Wie Weiblich, natürlich! :-) Nee, im Ernst... zu »Frauen im Web« fallen mir spontan einige sehr, sehr gute Seiten von Frauen ein, beispielsweise das Café Nirvana oder »Itīs A Dykes World«, was mich immer wieder in der Annahme bestärkt, daß wir es halt doch besser können! ;-))

Zu »Weiblichkeit im Web« fällt mir das Bild der Superfrau ein. Von Männern erträumt und geschaffen, von Frauen oftmals in ihrer Selbstdarstellung verzweifelt angestrebt. Die aktive Frau, die alles kann und keine Fehler macht. Sie ist ein höchst merkwürdiger Zwitter, eine Kreuzung aus einer harten Geschäftsfrau, einer ausgeflippten Mutter und dem scharfen Fotomodell Claudia Schiffer mit einem Schuß Marylin Monroe. Leistungsstark wie ein Computer, tagsüber legt sie Chanel, abends Lagerfeld auf, die edel lackierten Fingernägel ruhen auf ihrem aktuellen Vorstandsbericht, während die andere Hand das klebrige Pfötchen (der Schokoladenkuchen ist selbstgemacht, ganz klar) eines schmollenden Engelchens hält, den kußfesten lippenstiftroten Mund drückt sie dem Mann ihres Lebens auf die Lippen, am Ohr telefonisch mit dem Supermarkt verbunden, am anderen die Direktleitung Paris-Tokio. Alles in allem, nicht selten ein merkwürdiges und verschobenes Frauenbild.

 

 

KriT: Und wie würdest Du die Reaktionen von Männern und Frauen auf W Wie Weiblich zusammenfassen?

Anya: Im Speziellen, ebenfalls merkwürdig verschoben, - jedenfalls nicht so, wie ich es erwartet hatte. Männer reagierten meist sehr interessiert auf Themen wie »Abtreibung« und »Gewalt gegen Frauen«, haben sich offensichtlich eigene Gedanken gemacht und erörterten ihre Meinungen, Auffassungen und Standpunkte in langen Mails, wohingegen Frauen manchmal äußerst aggressiv, ohne nachvollziehbare Argumentation, ihre Mißbilligung zu Themen wie »Matriarchat« oder »Frauen und Aids« artikulierten. Im Allgemeinen jedoch war von beiderlei Geschlecht sehr viel Solidarität zu spüren - ein Antrieb weiterzumachen.


KriT: Was spricht man in Deinem Umfeld über das Internet?

Anya: In dem Du die Frage mit »was« einleitest, bist Du damit schon fast etwas zu optimistisch, - in meinem Umfeld spricht man so gut wie überhaupt nicht über das Internet! Das liegt wohl daran, daß viele meiner FreundInnen, wie ich selbst, der schönen klischeebehafteten »Sozialpädagogen-Szene« entstammen und somit nach wie vor dem Medium Computer (Voraussetzung für das Internet) kritisch gegenüberstehen. Warum? Laß es mich so ausdrücken, Computer sind ein Symbol. Sie stehen immer noch für den endgültigen Siegeszug kalter Rationalität über die Gefühle, die Körper, die Träume, das Menschliche eben. Gäbe es keine Computer, gäbe es wohl nicht all diese wahnwitzig zielgenauen Raketen, die eine Briefmarke im Weltraum treffen können. Wäre nicht der Profit die ultima ratio der Wirtschaft, steckte die Microtechnologie wahrscheinlich noch in den Kinderschuhen. Klar, daß solche Bestimmungszwecke - Profit und Bombe - auf das Werkzeug selbst abfärben. Sie ist mit schlimmen Auswirkungen verseucht, diese Technologie. Eine Erklärung dafür, warum Computer auch heute noch (vor allem in meiner Berufsgruppe) Mythen, Projektionen, Ängste und somit eine wissentlich beabsichtigte Distanz zu diesem Medium hervorrufen. Diese Erklärung könnte auch der Grund dafür sein, daß das Internet in meinem Freundeskreis schlichtweg eine - wenn überhaupt - untergeordnete Priorität besitzt.


...vielleicht ist das wirklich die Ursache dafür, daß alle den Atem anhalten und mich ansehen, als ob ich gerade von der Perversion unseres Gemeindepfarrers gesprochen hätte, wenn mir zufällig das Wort »Internet« bei einem Familienessen herausrutscht.


Abgesehen davon, rückt das Internet natürlich in zunehmenden Maße in das Feld öffentlicher Beachtung, und wenn Du nach dem »Was« fragst, fällt mir ein, daß zu meinem Umfeld auch Angehörige älterer Generationen gehören, die das »Was« ebenfalls nicht artikulieren. Aber gerade das betretene Schweigen kann Aussagekraft genug haben... Wenn früher die Hoffnung darin bestand, daß die Vernetzungsmöglichkeiten ein Weg sein könnte, staatsbürgerliche Gemeinschaften einander näherzubringen, so taucht heute der Begriff »Internet« in den Massenmedien meist in Verbindung mit Pornographie, speziell Kinderpornographie, oder mit Verbreitung und Veröffentlichung illegalem Gedankenguts, allgemein mit Kriminalität auf. Ja, wenn ich länger darüber nachdenke... vielleicht ist das wirklich die Ursache dafür, daß alle den Atem anhalten und mich ansehen, als ob ich gerade von der Perversion unseres Gemeindepfarrers gesprochen hätte, wenn mir zufällig das Wort »Internet« bei einem Familienessen herausrutscht. In wenigen Worten, - es wird in meinem Umfeld über das Internet so gut wie nicht gesprochen, weil es praktisch keine Bedeutung besitzt, die Bedeutung negativ belastet ist, oder das Internet selbst überhaupt so skandalös ist, daß man darüber einfach nicht sprechen darf. Ohje, - was für ein Umfeld??? ;-))

 

 

KriT: Welche Rolle soll das Internet in Deiner privaten und beruflichen Zukunft spielen?

Anya: Privat schätze ich das Internet als eine einzigartige Kommunikationsform. Es gibt keinen anderen Weg, auf dem so viele Menschen, noch dazu auf einer Fläche von solch geographischer Größe, Ideen zu jeder Tages- und Nachtzeit austauschen können. Ich habe während meiner intensiven Onlinephase einige sehr nette Menschen kennengelernt und die Möglichkeit, ohne große Zeitverzögerung, per Email mit Freunden aus anderen Städten und Ländern zu kommunizieren, ist für mich eine der größten Errungenschaften schlechthin! Auch wenn die Basteleien an meinen Seiten, meine Surftouren und meine Onlinezeit selbst zukünftig weniger werden, wird die elektronische Post weiterhin eine sehr große Rolle spielen.


In meiner Arbeit nach dem Studium wird das Internet jedoch keinen Platz mehr finden...


Beruflich wird das Internet neben anderen Medien erst einmal insofern eine gewisse Tragweite haben, da ich demnächst in dem Studienschwerpunkt »Medienpädagogik« studieren werde. Konkrete Vorstellungen zeichnen sich in den Plänen ab, das Thema Internet in meine Diplomarbeit zu integrieren. Für mein praktisches Studienjahr war ein Projekt geplant, zusammen mit einem Hamburger Erziehungswissenschaftler, welches Jugendliche sowohl an das Internet, als auch an das Theater heranführen sollte. (Die Form orientiert sich überwiegend an der Medienpädagogik, der Inhalt legt den Schwerpunkt auf die Theaterpädagogik.) Dabei sollte mit ca. 10 Jugendlichen eine Internetseite entwickelt werden, die einen Theaterspion darstellt. Dieser sogenannte Theaterspion sollte Fragen zum Thema Theater klären helfen, die die Jugendlichen der Gruppe stellen, aber auch und vor allem Fragen von außerhalb, aus dem Internet beantworten. Für mich scheiterte dieses Projekt aus finanziellen Gründen.

Nun werde ich versuchen, es für meine Diplomarbeit auf Nürnberger Verhältnisse zu übertragen, in der Hoffnung, daß eine Kooperation mit dem Nürnberger Schauspielhaus und dem Medienzentrum Parabol möglich ist und ich dort Unterstützung für meine Ideen und natürlich bei der Durchführung erhalte. In meiner Arbeit nach dem Studium wird das Internet jedoch keinen Platz mehr finden, da mir beruflich eine völlig andere Richtung vorschwebt, - ich in anderer Richtung weiter studieren und arbeiten möchte.

 

 

KriT: Wie können wir uns Dich persönlich vorstellen?

Anya: Puh!!! Die Frage ist, ob Ihr Euch das wirklich vorstellen möchtet?! Ich könnte jetzt alle positiven Attribute in mir vereinigen, aber spätestens morgen, würdest Du wegen meiner Antwort tausend entrüstete Protestmails erhalten und wissen, daß ich gelogen habe ;-)


Meine Mami verflucht noch heute die
antiautoritäre Welle


Tja, was soll ich sagen? Meine Mami verflucht noch heute die antiautoritäre Welle, die sie dafür verantwortlich macht, daß ich so bin wie ich bin, - nämlich _anders_ und dadurch sehr schwierig... dickköpfig, provozierend, ungehorsam, viel zu exzentrisch, launisch, anpassungsunfähig, immer gegen den Strom schwimmend.

Im Alltag bedeutet dies, daß ich alles auf den Kopf stellen muß... (Du siehst, Du darfst auch nicht all meine Statements bitterernst nehmen ;-)) Meine ehemaligen MitbewohnerInnen überreichten mir einmal feierlich ein »Tohuwabohu-Diplom«, mit der Bitte es unbedingt potentiellen MitleidensgenossInnen zum Lesen zu geben, - bevor es zu einem Mietvertrag kommt! Auf dem Diplom stand: »Vorsicht!!! Wenn Anya in Wohngemeinschaften einzieht kommt erst einmal alles aus dem Tritt, alles ändert sich, dabei ist es gleichgültig ob zum Guten oder zum Schlechten. War die Küche bisher immer supersauber, so steht plötzlich überall Abfall herum. War der gemeinsame Koch- und Brutzelraum bisher eine Müllkippe, führt sie plötzlich hygienische Normen wie in der Uniklinik ein. Hauptsache alles wird anders, ihr ist dabei völlig egal, in welche Richtung das geht und ob sie mit ihrer revolutionären Veränderung das große Chaos oder das goldene Zeitalter heraufbeschwört!«
(Klang doch eigentlich hübsch innovativ, oder?! Auch wenn die Umwandlung zugegebenermaßen immer eher zum Chaos tendiert...) Mein Name steht also für grundlegende Umwandlungsprozesse! ;-)

Bekannte bezeichnen mich (nicht selten zu ihrem Leidwesen ;-)) als extrovertiert, gesellig und kontaktfreudig.

Summa summarum: ich bin zweifelsohne eine mittelschwere Katastrophe und jede Beschönigung wäre gnadenlos geheuchelt, - dennoch, um mit mir zurecht zu kommen ist ein abgeschlossenes Psychologiestudium bei FreundInnen und Bekannten (zwar wünschenswert), aber glücklicherweise noch (!) nicht Voraussetzung ;-)


KriT: Es ist mir eine Freude, Dir den KriT-Apfel verleihen zu können. Jeder Interviewte hat so seine Ansichten zum Apfel allgemein und zum KriT-Apfel konkret zum Besten gegeben. Was denkst Du?

Anya: Ich liebe Äpfel allgemein, - konkret den KriT-Apfel ganz besonders! ;-) Im Ernst. Ich fühle mich geehrt, von Dir den KriT-Apfel überreicht zu bekommen - eine Auszeichnung, die mir persönlich sehr viel bedeutet. Vielen Dank!

 

 

Die Apfel-Interview habe ich bisher mit Spannung verfolgt, da ich auf diese Art Einzelheiten, vor allem auch die Hintergründe verschiedener Webprojekte und etwas über die Persona "hinter den Kulissen" in Erfahrung bringen konnte. Die Interviews sind es, die ich so sehr schätze und die KriT einen einmaligen und besonderen Anstrich verleihen. Auch die Ehre rührt daher, die mit dem KriT-Apfel als Award von allen Interviewten in Verbindung gebracht wird. Ich hoffe Du wirst ebenfalls an KriT noch lange Freude haben und uns mit Deiner Arbeit weiterhin bereichern können! :-)


KriT: Danke für das tolle Interview :-)


Auf zu W Wie Weiblich
 


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