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H.o.m.e


 


 
P o l i t T e x t e  |  Textur  |  03 11 2001
 
Ralph Segert
Politisches Lehrgeld
 
In den letzten Wochen habe ich politisches Lehrgeld gezahlt. Ich war naiv und glaubte, dass die als kritisch erlebten Bekannten und linken Demokraten ein Minimalkonsens verbinde über das, was Staaten sich an Gewalt, Zynismus und Opportunismus erlauben dürften. Doch nicht wenige der als gewaltablehnend eingeschätzten entpuppten sich als Freunde von Bush, Blair und Schröder und bauen lieber auf den Unterhaltungswert eines zynischen Propagandakrieges. Und die ganz Perfekten stehen immer weit über der simplen Kritik am Krieg.
 
Trotz der hier und dort artikulierten und oftmals halbherzigen Kritik am Krieg gegen Afghanistan bleibt es bei einem breiten Konsens in Deutschland, der die Bombardierung eines bereits zerstörten Landes als legitimes Mittel der Terrorbekämpfung begrüßt. Hinweise auf die Ölinteressen der USA als Kriegsmotiv werden eilig als überkommenes linkes Argumentationsmuster abgewertet. Pazifisten, die mit Blick auf die Menschenrechte betonen, dass die auf effektives Töten spezialisierten Streubomben die Taliban fast gar nicht, die Zivilbevölkerung umso stärker treffen, werden als »Weicheier« in der »Opferrolle« beschimpft. Und wer bei der Kritik am Krieg nicht gleichzeitig die Greuel der »islamischen Fundamentalisten« anprangert, gerät schnell in den Verdacht, sich auf dem liebgewonnenen linken Märchen über die bösen USA und die leidenden arabischen Völker auszuruhen.
 
Die wenigen mit wachem Verstand agierenden Intellektuellen, die bescheiden den Versuch einer Friedenspolitik in Erinnerung rufen, die die Ursachen des Terrors erforschen und langfristige Armutsbekämpfung, Entwicklungshilfe und soziale Gerechtigkeit als einzig wirksame Wege der Konfliktbewältigung sehen, die werden unter der Hand als realitätsfern belächelt. Hierbei kommen sich rechte Hardliner und linke Wahrheitssucher erstaunlich nah. Dass letztere die Bomben der Amerikaner begrüßen, ohne es offen auszusprechen, zeigt sich daran, dass ihnen die Kritik an dogmatischen Linken und Friedensbewegten wichtiger ist, als die vergeltungssüchtige und von hegemonialen Interessen geleitete »Gegengewalt« von Bush und Blair.
 
Die Diffamierung »Terroristenfreund« gesellt sich zu einer Bloßstellung der Kriegskritiker, die nicht wirklich ein Recht hätten, die Ölinteressen der USA ins Spiel zu bringen, solange man selbstgerecht im Warmen sitze. Der Hinweis indess, wie leicht sich das schreiben läßt, solange man nicht Gefahr läuft, ein Lebensmittelpaket mit einer Streubombe zu verwechseln, wäre auch nur eine hilflose polemische Antwort, die uns keinen Schritt weiterbringt.
 
So bleibt nur, beharrlich auf Texte zu verweisen, die alternative Modelle vorschlagen, wie zum Beispiel die amerikanische Soziologin Saskia Sassen. Ihr Bericht Die Schulden des Südens ist ein Beispiel für eine andere Antwort als Krieg und Anpassung. Der Text bringt die Frage ins Bewusstsein, warum keine der alternativen Ideen und konkreten Vorschläge nur ansatzweise von Politikern der nördlichen Hemisphäre ernst genommen werden. Ganz so dogmatisch scheint es nicht zu sein, an den Kampf ums Öl, den Staatsterrorismus der USA und den brutalen Geheimkriegen der CIA zu erinnern.

 

^^^                               H.o.m.e