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H.o.m.e
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WTC-Anschlag | 20 09 2001
Carola Heine
Hassmails und Angst
Viele Menschen im Internet sind näher zusammengerückt in den letzten Tagen, haben sich Wärme und Trost
gespendet und Halt in gemeinsamen Initiativen gefunden. Aber da sind auch noch die anderen, aus denen jetzt
scheinbar das Schlechteste hervorbricht. Es ist schwer zu verstehen, dass jemand "Osama bin Laden" als
Nickname im Chat wählt oder in Forenbeiträgen versucht, verstörte Menschen mit demonstrativer Gleichgültigkeit
zu provozieren.
Anderen scheint es ein Bedürfnis zu sein, die Schreibenden im Netz zum Verstummen zu bringen, um sich
abzureagieren. Wer sich äussert oder seine Gefühle schildert, wird beschimpft oder mit Hassmails bedacht. Am
Onlinetagebuch der Moderatorin und Autorin Else Buschheuer liess sich in den
letzten Tagen hautnah miterleben, wie unterschiedlich Menschen reagieren.
Else schrieb live aus New York vom Ort des Terroranschlags, der für sie "die Strasse runter" in Sichtweite
war. Allein in ihrer Wohnung und im Schockzustand hielt sie ihre Erlebnisse fest - und auch ihre Angst, die
über die folgenden Tage durch ständig neue Zwischenfälle geschürt wurde. Ein solches Trauma erfordert
eigentlich Ruhe, Unterstützung und eine therapeutische Betreuung. Hier aber war die ganze Stadt im Horror
gefangen und so ist es wenig erstaunlich, dass sie zunächst alleine mit dem Erlebten klarkommen musste. Als
Ventil blieb nur das Schreiben.
Else Buschheuer aktualisierte ihr Tagebuch fast stündlich, was sich fern im gemütlichen und sicheren
Deutschland online schnell herumsprach. Mit Unterstützung der einfühlsamen Kollegen gewisser
Boulevardblätter, versteht sich, die ohne Erlaubnis ganze Textpassagen abdruckten. Vielen Menschen half die
ungefilterte Berichterstattung dabei, die Geschehnisse besser zu erfassen und zu verarbeiten. Übergangslos
fanden sich aber auch Leser, die nichts besseres zu tun hatten, als sich verächtlich über diese Art der
"publicitygeilen Selbstdarstellung" zu äussern.
Für Buschheuer, deren Nervenkostum verständlicher Weise am Boden war, war das wohl zu viel. Sie löschte das
Tagebuch vom Server. Das vorübergehend und provisorisch eingerichtete Gästebuch füllte sich schnell mit
wohlmeinenden Grüssen, aber auch mit Beschimpfungen und Beiträgen von Leuten, die "ihren" Promi und bestimmte
Verhaltensweisen einforderten. Dazwischen immer wieder Beiträge, denen man die sorgfältige Bösartigkeit
anmerkte, mit denen sie komponiert worden waren.
Das waren keine Kritiker, die sich da geäussert haben - es waren Angreifer, die verletzen und vernichten
wollten. Wie an vielen virtuellen Orten zur Zeit. Else Buschheuer geht es besser, sie schreibt weiter
Tagebuch. Aber nicht jeder hat die Kraft, sich gegen solche Erlebnisse zu stemmen. Woher kommen diese
Aggressionen, wie können die Menschen ausgerechnet in solchen Zeiten dermassen aufeinander losgehen? Das ist
die Frage, die sich aufdrängt, wenn man in Mailinglisten und anderen Communities das gegenseitige
Unverständnis und den "internen" Hass hochkochen sieht.
Wir wissen die Antwort eigentlich, aber wir glauben lieber, dass wir selbst nicht so sind: So verletzlich, so
weit geöffnet und bis zum Anschlag überempfindlich ... und so völlig ohne Fluchtweg in dieser Krise. Mit dem
Rücken zur Wand in eine Ecke gedrängt und im inneren Kriegszustand ist nicht viel Spielraum für Toleranz.
Man muss sich erst mühsam bewusst machen, dass man aggressiv ist, weil man eine tiefsitzende Angst verspürt.
Dass man nicht wirklich denkt, man sei betroffener, souveräner oder besser im offiziellen Trauern und
derjenige mit dem erleseneren Verarbeitungsprozess. Sondern überreizt, hilflos und in Trauer vor dem Geschehen
in der Welt. Man muss die andere Wange nicht hinhalten, um zu ignorieren. Der Klumpen Wut im Hals kommt nicht
von nervenden Erlebnissen, auf die man jetzt am liebsten mit geballten Wortfäusten losgehen würde, sondern aus
der Angst.
Wenn man es erkennt, ist es schon halb so schlimm.
Carola Heine am 20.09.01 - Website: Notizblog
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